Fast jeder ist früher oder später damit konfrontiert: das Zahnfleisch zieht sich zurück. Doch Zahnfleischrückgang ist nicht gleich Zahnfleischrückgang. Und vieles „Allgemeinwissen“ zum Thema Zahnfleischschwund respektive Gingivarezession hält keiner medizinischen Prüfung stand. Noch weniger die vielfach propagierten Möglichkeiten der angeblichen Behandlung. Das unten eingebundene Video geht dieser Problematik recht amüsant-sympathisch entgegen:
Zwei unterschiedliche Ursachen des Zahnfleischrückgangs: Gingivarezession vs. Parodontitis
Wichtig ist die Erkenntnis, das zurückgehendes Zahnfleisch zwei unterschiedliche Ursachen haben kann. Und je nach Ursache unterscheidet sich die zu wählende Therapie, d.h. die Behandlung der Ursache und damit Therapie der Symptome.
(a) Nicht entzündlich bedingte Zahnfleischrezession
Das, was Zahnärzte als Zahnfleischrezession (vgl. Rezession Zahn) bezeichnen (auch: Gingivarezession), bezieht sich auf einen Rückgang des Zahnfleischs, ohne dass eine Entzündung vorläge. Häufigste Ursachen für diesen Fall sind:
- Langzeitfolgen einer falschen Zahnputztechnik oder
- Nebenwirkungen einer kieferorthopädischen Behandlung
Letzteres kann durch den Druck einer kieferorthopädischen Apparatur auf den Zahnfleischrand (z.B. Zahnspange, Invisalign-Schienen o.ä.) verursacht sein. Im ersten Fall hingegen wird über Jahre hinweg durch eine zu harte Zahnbürste in Verbindung mit falschen Zahnputz-Bewegungen das Zahnfleisch „weggeputzt“ / „zurückgetrieben“.
Das einmal geschwundene Zahnfleisch lässt sich nicht ohne weiteres wieder zurückgewinnen, siehe obige Abhandlung zum Thema „Zahnfleischrückgang mit Hausmitteln behandeln“. Und auch auf der Website von Dr. Marc Hinze heißt es:
[quote]Zahnfleisch, das einmal verloren ist, lässt sich ohne plastisch-chirurgischen Eingriff kaum wieder herstellen (implanteer.de/blog/rezession-und-rezessionsdeckung-ursachen-von-zahnfleischrueckgang-und-behandlungsmoeglichkeiten/)[/quote]
Wir wollen weiter unten noch darauzf eingehen, welche Möglichkeiten der Therapie von Gingivarezession es dann also gibt.
(b) Durch eine Zahnfleischentzündung verursachter Zahnfleischschwund
Die andere Variante von Zahnfleischschwund ist durch eine Entzündung bedingt. Hier sprechen wir im Regelfall von einer Parodontitis. Die Entzündung des Zahnfleisches an sich nennt sich Gingivitis. Entzündungen werden durch Bakterien verursacht. Diese entstehen durch Zahnbelag. Weicher Zahnbelag lässt sich mit der Zahnbürste und Zahnseide beim Zähneputzen entfernen. Wenn er nicht oder schlecht entfernt wird, kann er sich in Verbindung mit bestimmten Bestandteilen des Speichels zu Zahnstein verhärten. Zahnstein wiederum muss professionell beim Zahnarzt entfernt werden. Wird dieser nicht entfernt, so können sich dort weitere Bakterien ansiedeln und in späterer Folge zu entzündlichen Prozessen an Zahnfleisch, Zahn und Kieferknochen führen. Denn: Zahnstein ist eine einladende Grundlage für weitere Bakterien und Plaque! (vgl. netdoktor.de).
Einteilung der Zahnfleisch-Rezession in Schweregrade nach Miller
Ob und welche Behandlung bei einer Gingivarezession angezeigt ist, hat viel auch mit dem Schweregrad und Ausmaß der Zahnfleischrückbildung zu tun. Zahnärzte verwenden dabei in der Regel die vierstufige Skala nach Miller. Der unten per Screenshot ausschnittsweise abgebildete und verlinkte Wiki-Artikel erläutert die Kriterien für Klasse I, Klasse II, Klasse III bis Klasse IV.
Wichtig für Mediziner und Krankenkassen sind vor allen Dingen die Einordnung des Zahnfleischrückgangs in Klasse 3 und Klasse 4. Dann ist die Behandlung „medizinisch notwendig“, d.h. eine Therapie aus medizinischen Gründen wirklich indiziert. Es besteht die wahrscheinliche Gefahr von schweren Folgeschäden an Zahnwurzel und Knochenstruktur. Letztlich kann eine nicht oder nicht rechtzeitig behandelte Gingivarezession somit auch zu Zahnausfall führen.
Rezessionsdeckung als Therapie bei Zahnfleischschwund
Die Möglichkeiten der „Zahnfleischrückgewinnung“ mit einfachen, nicht-chirurgischen Mitteln sind – wie oben bereits ausgeführt – minimal. In der Regel ist für die Therapie einer schwereren Zahnfleisch-Rezession als immer ein zahnärztlich-chirurgischer Eingriff nötig. Das fachliche Stichwort hier lautet: Rezessionsdeckung. Wie so eine Behandlung aussieht (es gibt verschiedene Varianten), zeigt das unten eingebundene Animationsvideo von Youtube:
Vom Prinzip geht es darum, „neues“ Zahnfleisch über die betroffene Stelle zu legen / zu implantieren. Die heute gebräuchlichste Variante: Man entnimmt vom oberen Gaumen etwas Zahnfleisch / Gewebe und bringt es auf die betroffene Stelle auf. Das „neue Stück“ wird vernäht und verwächst über die Zeit. Geht das nicht gut bzw. genügt es nicht, können auch sonstige Gewebeimplantate mit eingebracht / aufgebracht werden.
Entzündungen therapieren, besser und richtig putzen – Was gegen Zahnfleischrückgang zu tun ist…
Wichtig: Chronisch entzündetes Zahnfleisch muss so schnell wie möglich professionell behandelt werden. Und: Handelt es sich um tatsächlich um eine Gingivarezession per Definition, d.h. um einen nicht entzündungsbedingte Zahnfleischrückgang, dann muss die Ursache geklärt und entsprechend angegangen werden. So unglaublich es klingt: Manchmal muss man eben auch Erwachsenen im hohen Alter noch „beibringen“, wie man „richtig“ Zähne putzt. Und wenn die Zahnfleischproblematik im Kontext einer bestehenden kieferorthopädischen Behandlung entsteht, muss auch hier die geschaut werden, wie man weiter vorgeht. Denn gerade KFO-Maßnahmen können ihre Nebenwirkungen haben, z.B. auch sich verkürzende Zahnwurzeln. Dann ist es unter Umständen nötig, die gewählte Behandlungsform / Apparatur zu wechseln, z.B. von Brackets, die sehr viel Druck ausüben hin zu Invisalign-Schienen, die in kleineren Schritten weniger Druck ausüben.
Last but not least: „Ölziehen“ für gesundes Zahnfleisch und gegen Zahnfleischrückgang?
Gerade wenn es um Bakterien im Mund- und Rachenraum geht, schwören manche auf das sogenannte „Ölziehen“. Im Prinzip geht es um das Konzept, durch Spülen, Gurgeln, Kauen und Durch-die-Zähne-ziehen von bestimmten Ölen eine Reduktion schädlicher Bakterien im Mundraum und damit auch am Zahnfleisch(rand) zu erzielen.
Das Ganze ist nach „wissenschaftlichen Maßstäben“ nicht ausreichend belegt (bewiesen), wird in jedoch in machen Kulturkreisen als jahrhundertelang überlieferte Behandlung genutzt und geschätzt, namentlich v.a. im Ayurveda.
Wer sich ein wenig dazu beliest, wird es vielleicht interessant finden. Das u.g. Bio-Öl bei Amazon gehört bei Interesse sicherlich zu den höherwertigen Produkten in diesem Bereich. In der Produktbeschreibung heißt es:
„Das Ölziehen ist ein in der Ayurveda und der russischen Volksmedizin seit Jahrhunderten bekanntes Verfahren zur Reinigung, Entgiftung und Stärkung des gesamten Organismus. Im Mund- und Rachenraum befindet sich eine natürliche Keimflora. Einige darin vorkommende Bakterienstämme können zur Bildung von Zahnbelag beitragen. Durch Ölziehen wird die Mundflora wieder ins Gleichgewicht gebracht. Unsere Ölziehkur Fresh besteht aus Sonnenblumen-, Sesam- und Kokosöl, die als traditionelle Öle für das Ölziehen gelten. Ergänzt wird Fresh durch ausgewählte ätherische Essenzen. Myrrhe, Niaouli und Nelke sorgen für die Reinigung und den Schutz der Zähne und des Zahnfleisches vor entzündlichen Prozessen, Parodontose, Zahnfleischbluten und Schmerzempfindlichkeit, sowie für die Stärkung der Kiefermuskulatur. Wacholder- und Thymianöl wirken gegen Mundgeruch und verleihen einen frischen Atem.“
Siehe auch: Zahnfleischprothese, Zahnfleischprobleme