In Deutschland wird bei rund 3000 Patienten pro Jahr wegen bösartiger Erkrankungen die Indikation zu einer Stammzelltransplantation gestellt, die besser unter dem Namen Knochenmarkspende bekannt ist. Da zwischen Spender und Empfänger eine Gewebeverträglichkeit bestehen muss, verliert fast jeder fünfte Patient den Wettlauf mit der Zeit, denn es wird kein passendes Transplantat gefunden.
Bereits in den 1980er Jahren beschäftigte man sich damit, Stammzellen auch aus Nabelschnurblut zu gewinnen, weil die Gewebeverträglichkeit bei der Transplantation weitaus größer ist. Die erste erfolgreiche Transplantation von Stammzellen, die aus Nabelschnurblut gewonnen worden waren, gelang 1988 bei einem Jungen mit einer seltenen Anämie. Er konnte durch die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut seiner neugeborenen Schwester gerettet werden.
Inzwischen gibt es Markt sehr professionell aufgestellte Anbieter wie z.B. Seracell (www.seracell.de), die als private Nabelschnurblutbank die Einlagerung vom Stammzellen des eigenen Kindes offerieren. Dieser konkurrieren mit den öffentlichen Nabelschnurblutbanken (vgl. die Übersicht beim Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland unter www.zkrd.de) um das wertvolle Nabelschnurblut, und haben vor allen Dingen ein Interesse an Nabelschnurblutspenden.
Was wie, wann und für wen sinnvoll sein kann, soll dieser Artikel klären.
Notwendiges Grundwissen: Was sind Stammzellen?
Während der Entwicklung des Embryos differenzieren sich aus einer befruchteten Eizelle mehr als 200 unterschiedliche Zelltypen. Einige Zelltypen sind in der Lage, einen kompletten Organismus zu bilden und werden als „totipotent“ bezeichnet. Andere Zelltypen hingegen besitzen die Fähigkeit, sich zu unterschiedlichen Gewebetypen zu differenzieren, sie können jedoch keinen Gesamtorganismus entwickeln. Diese Zellen nennt man „pluripotent“. Alle diese Zelltypen bezeichnet man mit dem Oberbegriff „embryonale Stammzellen“. Auch im Körper eines erwachsenen Menschen finden sich Zellen mit einer hohen Regenerationsfähigkeit, zum Beispiel im Knochenmark, im Gewebe des Lymphsystems, im Fett- und Bauchspeicheldrüsengewebe, im zentralen Nervensystem und in der Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts. Diese Stammzellen nennt man „adulte Stammzellen“.
Unterschiedliche Stammzellen für unterschiedliche Zwecke
Je nachdem, aus welchem Gewebe eines erwachsenen Menschen die Stammzellen gewonnen worden sind, können aus ihnen unterschiedliche Gewebstypen herangezüchtet werden. Aus Knochenmarkstammzellen entwickeln sich die Zellen unseres Blutsystems, aus Muskelstammzellen kann Muskelgewebe herangezüchtet werden und aus verschiedenen Bindegewebszellen sogar Knorpel- und Knochengewebe.
Das Besondere an Stammzellen ist, dass bei der Bildung verschiedener Zellentypen nicht alle Stammzellen mitmachen. Vielmehr bleibt ein Vorrat an Stammzellen lebenslang im Körper vorhanden, deren Funktion ausschließlich in der Selbsterneuerung besteht.
Wofür werden Stammzellen verwendet?
Die meisten Stammzelltransplantationen werden bei Bluterkrankungen durchgeführt wie beispielsweise Leukämien. Bei einer Leukämie kommt es zu einer starken Vermehrung weißer Blutkörperchen, die wie alle anderen Blutzellen auch, im Knochenmark gebildet werden. Die massenhaft produzierten weißen Blutkörperchen sind in der Regel funktionslos und können nicht wie gewohnt die Immunabwehr unterstützen. Die Patienten sind einer hohen Infektanfälligkeit ausgesetzt und entwickeln meist eine Anämie, da die Leukämiezellen die roten Blutkörperchen im Knochenmark verdrängen. Hochaggressive Leukämieformen können innerhalb weniger Monate zum Tod führen.
Um den Patienten retten zu können, muss sein Knochenmark mit medizinischen Maßnahmen wie einer hoch dosierten Chemotherapie regelrecht ausgelöscht werden, damit die Produktion der Leukämiezellen gestoppt wird. Da man aber ohne Knochenmark nicht leben kann, erhält der Patient Stammzellen von einem passenden Spender, die sich im Knochen ansiedeln und vermehren, sodass der Leukämiekranke schließlich wieder ein gesundes Knochenmark hat, in dem ebenso gesunde Blutzellen gebildet werden. Gelingt die Stammzellentransplantation wie vorgeschrieben, ist der Patient von seiner Leukämie geheilt. Mittlerweile wird die Transplantation nicht nur bei Bluterkrankungen durchgeführt, sondern auch bei Immundefekten und Stoffwechselkrankheiten wie dem Diabetes mellitus.
Wie werden Stammzellen gewonnen?
Es bestehen drei Möglichkeiten, an Stammzellen heranzukommen. Sie können aus Knochenmark, über eine Blutabnahme aus der Armvene und aus Nabelschnurblut gewonnen werden.
Bei der Knochenmarkspende wird bei dem in Vollnarkose befindlichen Spender das Knochenmark durch mehrfache Punktionen des Beckenknochens gewonnen. Da auch gröbere Partikel wie Knochensplitter im gewonnenen Knochenmark vorhanden sind, ist eine entsprechende Aufbereitung mit Filterung erforderlich. Bei der Gewinnung von Stammzellen über eine ganz normale Blutabnahme muss der Spender zuvor über einige Tage ein Medikament einnehmen, damit die Stammzellen in großer Zahl aus dem Knochenmark in das periphere Blut übertreten, das normalerweise nur ganz wenige Stammzellen enthält. Nabelschnurstammzellen hingegen sind relativ einfach zu gewinnen, denn dazu muss unmittelbar nach der Entbindung bzw. Abnabelung lediglich das Stückchen Nabelschnur, das der Plazenta anhaftet, punktiert werden. Mutter und Kind bekommen von dieser Punktion nichts mit, der Geburtsvorgang wird dadurch nicht beeinflusst und es sind keine medikamentösen Vorbehandlungen von Mutter und/oder Kind erforderlich.
Stammzellen aus Nabelschnurblut sind besonders wertvoll
Die Stammzellen und deren Gewinnung aus Nabelschnurblut weisen einige Besonderheiten auf. Hauptvorteil ist die einfache Gewinnbarkeit ohne Risiko für Mutter und Kind. Ein weiterer Vorzug ist die Qualität der Stammzellen, die sich mit hoher Frequenz vermehren und ein hohes Selbsterneuerungspotenzial haben. Im Gegensatz zu den Erwachsenenspenden (Knochenmark, peripheres Blut) sind sie immunologisch unreif, weshalb die Wahrscheinlichkeit einer Abstoßungsreaktion durch den Empfänger weitaus geringer ist.
Spender und Empfänger müssen bei der Transplantation von Nabelschnurstammzellen also nicht wie bei Knochenmark und peripherem Blut in allen Gewebsmerkmalen übereinstimmen. Das erklärt, warum für einen westeuropäischen Patienten, der eine Stammzellentransplantation zur Behandlung seiner Erkrankung benötigt, die Wahrscheinlichkeit, passendes Nabelschnurblut in einer der zahlreichen Stammzellenbanken finden, bei rund 75 % liegt. Die Suche nach einem passenden Knochenmarkspender ist im Gegensatz dazu vergleichbar mit der Nadelsuche im Heuhaufen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Stammzellen eines gesunden Neugeborenen in aller Regel noch keinen Kontakt mit Keimen hatten, die im Laufe des Lebens zu Erkrankungen führen können, was bei der Auswahl von Knochenmarkspendern beachtet werden muss. Das Nabelschnurblut enthält zudem eine sehr hohe Anzahl an Stammzellen.
Nachteilig ist, dass die Menge des abgenommenen Nabelschnurbluts mit 50-150 ml relativ gering ist. Diese Menge reicht meistens nur für die Stammzelltherapie bei Kindern aus. Erwachsene, die eine Stammzellentransplantation benötigen, erhalten eine sogenannte Doppeltransplantation, d.h. sie erhalten zwei Stammzellpräparate von unterschiedlichen Spendern. Eine der Stammzellaufbereitungen setzt sich in der Regel durch, womit dem Patienten geholfen ist.
Einsatzmöglichkeiten und erste Einsatzerfolge von Stammzellen aus Nabelschnurblut in Gentherapie und regenerativer Medizin
Aus Nabelschnurblut gewonnene Stammzellen eignen sich nicht nur hervorragend für die Behandlung bösartiger Erkrankungen. Sie eignen sich auch zur Heranzüchtung unterschiedlicher Gewebe wie Knochen, Knorpel, Herzmuskel und Fett. So kann beispielsweise Herzmuskelgewebe, das durch einen Herzinfarkt abgestorben ist, durch neues Muskelgewebe, das aus Stammzellen herangezüchtet worden ist, ersetzt werden.
- Vor einigen Jahren gelang das Heranzüchten einer Herzklappe aus den Stammzellen eines Neugeborenen, bei dem bereits vor der Geburt durch die üblichen Vorsorgeuntersuchungen ein Herzklappenfehler entdeckt worden war und man den Eltern geraten hatte, eine Nabelschnurblutkonservierung durchführen zu lassen. Eine derart herangezüchtete Herzklappe hat den Vorteil, dass sie nach der Implantation bei einem Kleinkind mitwächst und dem Kind Folgeoperation erspart bleiben, die bei der Implantation einer künstlichen, nicht mitwachsenden Klappe erforderlich wären.
- Mit aus kindlichen Stammzellen gewonnenem Knorpelgewebe ergibt sich eine neue Behandlungsmöglichkeit von Arthrosen im Erwachsenenalter, wodurch sich zum Beispiel ein künstlicher Gelenksersatz erübrigt oder zumindest zeitlich hinausgezögert werden könnte.
- Eindrucksvoll ist auch der Fall eines kleinen Jungen, der während einer Operation einem Sauerstoffmangel ausgesetzt war und seitdem im Wachkoma vor sich hinvegetierte. Bereits eine Woche nach der Stammzellentransplantation verbesserte sich sein Zustand: Auf Aufforderung konnte er einfache Handlungen wie das Drücken eines großen Kopfes ausführen, der Kopf konnte durch die Halsmuskulatur wieder motorisch kontrolliert werden und die spastischen Lähmungen in den Extremitäten ließen nach. Nach vier Wochen konnte er frei sitzen und unternahm die ersten Gehversuche. Das alles war möglich, weil die Eltern sich für eine Nabelschnurblutkonservierung nach der Geburt ihres Sohnes entschlossen hatten.
- Die ersten Versuche, Kinder mit einem Schlaganfall durch eine Stammzellentherapie zu behandeln, sind ebenfalls recht viel versprechend.
- Auch Kinder mit einem Diabetes mellitus profitieren von einer Stammzellentherapie. Wird sie mit geeigneten Stammzellpräparaten durchgeführt, reduziert sich die Insulinmenge, die für die Behandlung der Erkrankung täglich erforderlich ist. In einem Fall wurde die Insulingabe nach der Stammzelltransplantation sogar überflüssig.
- Kindlichen Stammzellen eignen sich auch für einen Gentransfer bei angeborenen genetischen Erkrankungen. Dabei wird in einer Stammzelle das defekte Gen, das für die Erkrankung verantwortlich ist, durch ein gesundes Gen ersetzt. Auch wenn sich die Manipulation von Stammzellen durch Gentransfer noch im experimentellen Stadium befindet, sind die Ergebnisse für die Zukunft sehr vielversprechend.
Wo werden die entnommenen Nabelschnurstammzellen gelagert?
Wer Nabelschnurblut und die darin befindlichen Stammzellen für medizinische Zwecke konservieren lassen möchte, kann sich an Nabelschnurblutbanken wenden. Die ersten Banken wurden 1992 gegründet. Zu unterscheiden sind die öffentlichen und privaten bzw. kommerziellen Blutbanken.
Zurzeit existieren weltweit über 100 öffentliche Nabelschnurblutbanken, in denen insgesamt rund 450.000 Nabelblutspenden eingelagert sind. Die öffentlichen Blutbanken versorgen ca. 300 internationale Transplantationszentren mit entsprechenden Stammzellpräparaten und werden durch öffentliche Gelder finanziert. Sie sind somit vergleichbar mit normalen Blutbanken, in denen die Blutspenden eingelagert und im Bedarfsfall an Krankenhäuser und Kliniken abgegeben werden. Der Gesundheitszustand der Kinder, deren Nabelschnurblut in den Banken eingelagert wird, wird regelmäßig erfasst. Sollten sie Erkrankungen entwickeln, die möglicherweise durch die bereits eingelagert Stammzellen übertragen werden können, wird das eingelagerte Nabelschnurblut verworfen, damit kein Empfänger durch die Stammzellen unbeabsichtigt infiziert wird. Die Einlagerung von Nabelschnurblut in öffentlichen Einrichtungen ist für die Eltern kostenlos.
Weltweit existieren zusätzlich rund 140 private Banken wie z.B. eben Seracell, aber auch Vita 34, Cryo-Save u.a., in denen die Eltern das Nabelschnurblut Ihres Kindes einlagern lassen können. Das Nabelschnurblut ist dann nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich, d.h. es werden keine Stammzellpräparate hergestellt, die im Bedarfsfall an fremde Spender abgegeben werden können. Viele Eltern entschließen sich für eine private Bank für den Fall, dass ihr Kind oder ein naher Verwandter irgendwann in seinem Leben eine Erkrankung erleidet, die mit den körpereigenen Stammzellen geheilt werden kann. Alle anfallenden Kosten für Blutentnahme, Bearbeitung und Konservierung müssen von den Eltern übernommen werden.
Eigenes Nabelschnurblut als „biologische Lebensversicherung“?
Eltern wollen für ihre Kinder in der Regel immer nur das Beste und nicht wenige lassen das Nabelschnurblut ihrer Kinder in einer privaten Bank konservieren, damit Erkrankungen im späteren Erwachsenenalter durch die Transplantation von körpereigenen Stammzellen bzw. daraus gewonnenen Stammzellpräparaten geheilt werden können. Was viele Eltern nicht wissen und auch von den Betreibern privater Banken gerne verschwiegen wird, ist, dass vorsorglich eingelagertes Nabelschnurblut bisher bei nur wenigen Erkrankungen von Nutzen ist, die das Kind im Laufe seines Lebens entwickeln kann. Der Stellenwert einer Transplantation konservierter körpereigener Stammzellen bei der vorgenannten Konstellation – vorsorgliche Einlagerung ohne bestehenden medizinischen Grund – ist laut Meinung vieler Mediziner eher gering, denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Familie auf die eingelagerten Stammzellen zurückgreifen muss, liegt bei ungefähr 1 : 200.000.
Warum körpereigene Stammzellen für den Eigenbedarf von geringe(re)m Nutzen sind, verdeutlicht folgendes Beispiel: Es existieren Leukämieformen, die auf einen Gendefekt zurückzuführen sind. Entwickelt das Kind im Laufe seines Lebens eine derartige Leukämie, ist eine Transplantation körpereigener Stammzellen ausgeschlossen, da die genetische Information zur Entwicklung der Leukämie natürlich auch in den konservierten Stammzellen vorhanden ist und das betroffene Kind durch die Transplantation erneut an der Leukämie erkranken würde. In diesem Fall wäre es sinnvoller, wenn das erkrankte Kind mit gesunden Stammzellen aus einer öffentlichen Blutbank behandelt wird.
Doch den privaten Stammzellenbanken geht es gar nicht (immer) so sehr um Heilversprechen im Kontext von Leukämie. Sie zielen mehr auf die Einsatzmöglichkeiten der regenerativen Medizin und z.B. Nabelschnurblut-Reinfusionen bei neurologischen Störungen. So betonen die Befürworter der privaten Einlagerung von Nabelschnurblut für den Eigenbedarf (zu Recht) auch immer wieder, dass bei aller Kritik die Chancen der regenerativen Medizin viel zu wenig abgewogen würden und man einseitig auf dem Thema Leukämie herumreite.
In jedem Fall: Die Einlagerung von Nabelschnurblut in privaten Banken als biologische Lebensversicherung ist heute noch ziemlich umstritten. Das Einlagern erfordert (neben einer Zahlungsbereitschaft von 1000-2000 EUR) viel Hoffnung in spätere medizinische Möglichkeiten und zukünftige Forschungsergebnisse.
Viele Mediziner vertreten eher die Auffassung, man solle das Nabelschnurblut an öffentliche Banken spenden, um anderen Menschen, z.B. Leukämie-Erkrankten zu helfen. Davon profitiert dann die Gemeinschaft / Gesellschaft insgesamt. Je mehr Eltern sich für eine Nabelschnurblutspende entscheiden, desto größer wird der Vorrat an fertigen Stammzellpräparaten, die sofort und ohne lange Suche nach einem geeigneten Spender einem schwer kranken Menschen irgendwo in der Welt das Leben retten können.